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»Je später der Tag wird, desto versunkener bin ich in meine Arbeit.«

Interview mit der Künstlerin Toulu Hassani

Toulu Hassani, Foto: Volker Crone

Im Jahr 2016 begegnete Annette Stadler erstmals den Werken von Toulu Hassani auf der Art Basel, als ihr eine befreundete Galeristin mit strahlenden Augen eine ihrer neuesten Erwerbungen präsentierte. Es war eine Arbeit von Toulu Hassani, die sie mit sichtbarem Stolz in ihre Sammlung aufgenommen hatte. Kurz darauf besuchten Annette und Rainer Stadler eine umfassende Ausstellung von Hassanis Werken im Sprengelmuseum Hannover. Die Faszination für ihre Kunst, die durch eine spannungsreiche Balance zwischen Ordnung und Chaos, Struktur und Auflösung, geprägt ist, vertiefte sich weiter.
2021 lernten die Stadlers die Künstlerin schließlich in der Galerie von Rüdiger Schöttle persönlich kennenlernen und erwarben die erste Arbeit für ihre Sammlung. Hassanis Arbeitsweise, die auf feingliedrigen Prozessen und einer fast meditativen Kleinteiligkeit basiert, üben eine starke Anziehungskraft auf die Stadlers aus und stehen in einem faszinierenden Kontrast zu vielen anderen Werken ihrer Sammlung. Sophie Azzilonna sprach im Juli 2024 mit Toulu Hassani über ihre Kunst und die Gedanken dahinter.

In den letzten Monaten jagte bei dir eine Ausstellung die nächste. Wie schaffst du es, bei all dem organisatorischen Aufwand und den Reisen, Zeit für deine doch sehr aufwendigen Werke zu finden?

 

Das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Meine Arbeiten verlangen ja auch relativ viel Aufmerksamkeit von mir. Ich begegne dieser Situation, indem ich meine Prozesse etwas mehr strukturiere, als ich es noch vor einigen Jahren getan habe. Ich nehme mir eine feste Zeit vor, mich um administrative Dinge zu kümmern. Das ist bei mir meist der Vormittag. Da setze ich mich mit einem Kaffee an den Schreibtisch zu Hause und arbeite ein wenig ab. Auf Reisen wird dann natürlich die Zeit im Zug genutzt, um Mails zu beantworten und zu planen. Das hilft mir dabei, mich in meinem Atelier voll und ganz auf den künstlerischen Prozess zu konzentrieren. Diese Arbeit ist für mich und meinen Prozess extrem wichtig und muss zu einem gewissen Grad abgeschirmt sein von Organisations- und Planungsüberlegungen.

 

Wie stimmst du dich auf den meditativen Malprozess ein? Gibt es bestimmte Rituale, Zeiten oder Hilfsmittel, die du dafür nutzt?

 

Ich glaube, wenn ich im Atelier ankomme, prokrastiniere ich erst einmal. Ich räume auf und sortiere beispielsweise Werkzeug und Material, mische Farben an, mache Notizen oder Vorzeichnungen. So schaffe ich mir eine ruhige und ordentliche Umgebung, in der mich nichts mehr vom Malen ablenkt. Es braucht eine Weile, bis ich äußere Ablenkungen vergesse und in eine tiefe Konzentration komme. Oft höre ich Musik, wenn ich mit einer neuen Arbeit beginne oder an einem herausfordernden Punkt eines Bildes stehe. Sie setzt bei mir Gedanken und Emotionen frei, die mich in einen Flow versetzen. Diese Gefühlszustände lasse ich gerne in meine Bilder einfließen. Podcasts höre ich wahnsinnig gerne, wenn ich mit den eher wiederholenden Prozessen beschäftigt bin. Je später der Tag wird, desto versunkener bin ich dann in meine Arbeit.

In deinen Leinwandarbeiten lässt du dich oft von wissenschaftlichen Ordnungssystemen inspirieren. Was fasziniert dich daran?

 

Ich habe irgendwann für mich entdeckt, dass ich mich über den Prozess des Malens langsam diesen Ideen genähert habe oder vielleicht schon immer dort war. Die Themen Ordnung, System und Struktur, die in meinen Arbeiten stattfinden, finden auf eine sehr spannende Weise ebenso in der Wissenschaft statt. Ich habe dann begonnen, intensiver nach Analogien und Überschneidungen zwischen meinen Bildern und wissenschaftlichen Darstellungen zu schauen. In der Malerei finden teilweise ähnliche Abläufe und Entwicklungen statt, ohne dass sie jedoch ebenso strengen Regeln bzw. selbst gewählten Regeln unterliegt. Ich glaube, mir geht es hierbei weniger um eine Inspiration zwischen Kunst und Wissenschaft, auch wenn ich diesen Aspekt für wichtig halte. Ich würde bei dieser Frage gerne einen Schritt zurücktreten. Mir geht es eher um die Motivation Kunst bzw. Forschung zu betreiben. Hier glaube ich, passiert eigentlich das gleiche. Das ist der wesentliche Gedanke, um den es sich für mich dreht. Beides sind Versuche, mit etwas außerhalb von sich selbst in Verbindung zu treten. Beides sind Annäherungen an die Welt mit mehr oder weniger dem Ziel, sich mit etwas zu identifizieren, dass nicht man selbst ist.

In deinen Ordungssystemen spielst du aber auch ganz bewusst mit Brüchen…


Ich würde eher sagen, es gibt eine weitere Ebene, die der intuitiven und emotionalen Entscheidungen und Bildfindung. Letztendlich ist das, was ich tue, sehr visuell und darf auch mal nicht erklärbar, sondern eine rein visuelle Erfahrung sein.

In letzter Zeit sind deine Formate größer und größer geworden. Anfang 2023 in deiner Ausstellung "And So on to Infinity" im Sauerland-Museum Arnsberg eine ganze Wand. Wie bist du hier im Gegensatz zu deinen Leinwandarbeiten vorgegangen?

 

Die Idee der Wandarbeiten geht zurück auf eine Arbeit, die ich 2016 das erste Mal bei der Ausstellung zum Sprengel Preis in Hannover gezeigt habe. Damals hatte ich mit dem Scanbett eines Kopierers experimentiert, um zufällige Helligkeitsgradienten herzustellen, um diese dann später in einem Raster zusammenzuführen. Die Arbeit „Minus Something“ betrachte ich als den technischen Ausgangspunkt dieser Wandarbeiten. Dazu kam dann noch die Hinzunahme der Airbrushpistole, mit der ich seit 2020 arbeite. Auf der inhaltlichen Ebene interessiert mich an dieser Art von Arbeit vor allem die Gegenüberstellung der Mikro- und der Makro-Ebene. Die Verbindung von kleinformatigen Ölbildern mit solchen Wandarbeiten eröffnet einen neuen Raum, der die Betrachtung und Lesbarkeit meiner Werke noch körperlicher macht. Neben oder auf einer solchen Wand lassen sich zum Beispiel meine gerasterten Ölbilder noch einmal auf eine ganz andere Art als etwas Endloses lesen.

Ein Neuzugang in unserer Sammlung ist die Arbeit 00:02 above horizon, 2023. Sie zeigt einen Ausschnitt des Sternenhimmels. Könntest du das Werk und die zugrundeliegende Idee genauer beschreiben?

 

Die Arbeit „00:02 above horizon“ gehört einer noch fortlaufenden Werkgruppe an. Der Titel gibt Hinweis auf die Uhrzeit der Aufnahme ihrer fotografischen Vorlage. Natürlich fehlen, um präzise zu sein, Angaben zu Standort und Datum der Aufnahme. Mir geht es jedoch nicht um eine möglichst genaue Darstellung. Die Positionsbeschreibung „above horizon“ stammt aus der Astronomie und verdeutlicht für mich auf eine spannende Weise, dass wir alles, was wir betrachten, sei es noch so groß oder klein, eben nur aus unserer Perspektive beschreiben können. Der Sternenhimmel ist kartiert und wir wissen, was um uns herum zu sehen ist, jedoch ist unser eigener Planet im Weg. Den Sternhimmel selbst verbinde ich mit vielem. Nachts verschwindet alles im Dunkel um uns herum und die winzig erscheinenden Sterne in der Ferne ziehen meinen Blick magisch an. Die Gedanken erscheinen nachts freier und klarer als am Tag und zugleich kennt sicher jede und jeder die Gedanken, wie klein und nichtig wir als Menschen in den Dimensionen des Alls erscheinen. Gleichzeitig ist da eine große Faszination für ungelöste Rätsel. Dinge und Dimensionen, die unsere Vorstellungskraft übertreffen. Die Sternmalereien sind vielleicht ein Versuch, so einen Moment ganz bewusst zu evozieren.

Vor 10 Jahren warst du als Stipendiatin in New York. Den Sternenhimmel konntest du dort wahrscheinlich nicht so häufig sehen. Welchen Einfluss hatte die Stadt rückblickend auf dein Werk?

Auch wenn die Lichter dieser Stadt fast immer die Lichter der Sterne überstrahlt haben, erinnere ich mich dennoch an viele Blicke in den Himmel. Es gab oft die Gelegenheit, auf einem der Rooftops zu sein und die Weite zu bewundern. Die Sonnenauf- und -untergänge waren spektakulär. Gerade in Kombination mit der Stadt.
Der Einfluss dieses Aufenthalts für mich setzt sich aus vielen Dingen zusammen. Für mich war vor allem die gemeinsame Zeit und der Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlerin sehr wichtig. Die meisten habe ich im ISCP (International Studio Curatorial Program) kennengelernt. Dort ging es sehr international zu. Ganz besonders habe ich dort verstanden, dass ein Kunstverständnis auf die jeweilige Sozialisation zurückgreift, viel mehr mit Angelerntem zu tun hat, als mir vorher klar war. Abgesehen davon bietet New York natürlich eine irre Spannbreite an verschiedenstem Input. Was auch die Betrachtung und Reflexion der eigenen Arbeit in neue Relationen setzt.

Von 2023 bis zum Frühjahr 2024 lehrtest du an der Akademie der Bildenden Künste München. Was gefällt dir an der Arbeit mit den Studierenden und was möchtest du ihnen vermitteln?

Das macht unheimlich viel Spaß! Ich finde es toll, mich nicht nur mit meiner eigenen Kunst so intensiv zu beschäftigen. Sondern mich mit den unterschiedlichsten Gedanken und Herangehensweisen der Studierenden auseinanderzusetzen. Das kann zuweilen sehr herausfordernd sein, aber ist vor allem bereichernd. Im besten Fall stoßen wir dann bei Arbeitsbesprechungen oder Ausstellungsbesuchen auf wichtige Fragestellungen und Erkenntnisse. Mir es wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, in der wir viel miteinander erfahren. Dazu braucht es gemeinsame Erlebnisse, die über Arbeitsbesprechungen hinaus gehen. Außerdem ist es mir besonders wichtig, dass die Studierenden in den Ateliers der Akademie arbeiten. So setzen sie ihre Arbeiten im unfertigen, verletzlichen Zustand der Betrachtung und Kritik ihrer Mitstudierenden aus. Diese Art von direkter und vielleicht manchmal brutaler Auseinandersetzung war zumindest für meine künstlerische Entwicklung ausschlaggebend. Vermitteln möchte ich vor allem eines: eine eigene Haltung zur Kunst zu finden und auszuformulieren, die sich mit Inhalten befasst und weniger mit Strategie und Kunstmarkt. Dazu eine Offenheit zu haben, also immer zu hinterfragen, was um einen herum passiert und wie man sich dazu verhält. Und auf jeden Fall möchte ich die Studierenden pushen, bestärken und konstruktiv kritisieren.

Wer hat dich und deine Arbeit geprägt bzw. inspiriert?


Um hier vielleicht einfach einige Namen zu nennen: David Lynchs Vermögen eine Welt zu erschaffen, die völlig eigen und traumhaft ist. Auf seine Filme bin ich gestoßen, als ich noch zu jung heimlich Fernsehen geschaut habe. Die Hingabe und Leidenschaft von Werner Herzog hat mich nachhaltig beeindruckt. Paul Klee, Agnes Martin und Vija Celmins sind Künstlerinnen und Künstler, die mich immer wieder erneut inspirieren. Aus der Musik sind es beispielsweise Amen Dunes, Moses Sumney oder Tuxedomoon bis hin zu Kompositionen von Phillip Glass. Das Spektrum ist da sehr weit gefächert und ich lasse mich immer wieder auf Neues und mir Unbekanntes ein.

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